der Erste Hilfe-Kasten für Gefühlschaosnotfälle

In einem meiner Bücherregale steht eine stattliche Reihe von Lebenshilfen und Ratgebern zum Verbessern des Wohlbefindens. Ich bin so sehr an den Themen "Glück" und "gutes Leben" interessiert, dass diese Sammlung ständig wächst. In vielen dieser Bücher wird auch das Beherrschen von (negativen) Gefühlen behandelt. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass es nicht ganz einfach ist, sich in akuten Situationen an die guten Tipps zu erinnern, denn man steckt ja plötzlich mittendrin, wird von einem negativen Gefühl überrumpelt und kann ihm dann hilflos ausgeliefert sein. Besonders extrem und gefährlich ist die Wut, denn hat man sich nicht im Griff, verletzt man leicht seine Mitmenschen und damit auch sich selbst. 

Man könnte mit der Frage beginnen, ob man dem Aufwallen von Wut und dessen Folgen so gründlich vorbeugen kann, sodass man der Wut eben nicht lawinenmässig ausgeliefert ist. Mit dem Thema habe ich mich viel beschäftigt, mich selbst beobachtet und auch viele Freunde, Verwandte und Bekannte dazu befragt. 

Das Aufwallen negativer Gefühle kann die unterschiedlichsten Auslöser haben. Manchmal reicht schon eine schlechte Nacht. Man schleicht mit seinem Zementkopf durch den Tag und ist von allem und jedem genervt. Durch körperliche Schmerzen kann man auch Gefahr laufen, zum Zombie zu mutieren. Und wenn Östrogen und Progesteron wieder mal fies zum Serotonin sind, dann fühlt man sich genau so, als ob man hilflos und ohne pädagogische Ausbildung inmitten einer Bande wilder Jungs steht mit der Aufgabe, ihnen das Stricken beizubringen. Oder aber es gibt da einen fürchterlichen Stachel im Bewusstsein, der einem schreckliche Sorgen und Kummer bereitet. Vor gut einem Monat zum Beispiel pflanzte ich eine Palme um, meinen Augenstern, der mich schon 15 Jahre begleitet hatte und besonders in den letzten Jahren viele neue Blätter gebildet hatte. Irgendetwas lief falsch und sie starb innerhalb von zwei Tagen. Es mag für Menschen ohne Liebe und "Draht" zu Pflanzen lächerlich klingen, aber mir ging der Tod der Pflanze sehr nahe. Ich war tagelang traurig und reagierte auf ganz normale Fragen und in normalen Alltagssituationen viel gereizter als gewöhnlich. 

Hat man zu wenig Serotonin im Körper, ist man leichter reizbar und aggressiv, innerlich aufgewühlt und angespannt und die Stimmung ist gedrückt. Aber gibt es alternative Methoden zu Antidepressiva, deren Funktion es ist, das Abbauen von Serotonin zu stoppen? Die Gespräche, die ich mit meinen Mitmenschen geführt habe, weisen darauf hin, dass es sogar sehr viele Alternativen zu diesen Medikamenten gibt. Wenn Tiefschlaf und eine Lebensart, die möglichst stressfrei und frei von psychischen Belastungen ist, die Bildung von Serotonin fördert, wie es der Facharzt für Psychotherapie Dr. Robert Willi so gut erklärt, dann sollte man sich doch genau um diese Punkte kümmern. Dinge tun, die einen beruhigen. Mit Menschen zusammen sein, die einem guttun. Sich Beschäftigungen aussuchen, die einem Freude machen. Aktiv selbst gegen Stress und psychische Belastungen arbeiten. Orte besuchen, die einem guttun und bewusstes Wahrnehmen üben. Das Geniessen wiedererlernen. 

Und was, wenn man all das weiß, normalerweise eigentlich auch alles super klappt, weil man diese Prinzipien geübt und verinnerlicht hat und es trotz aktiven Gegenarbeitens trotzdem einmal zu einem Rückfall kommt wie bei mir vor einem Monat, als ich meinen Mann gemeinerweise anmuffelte, doch gefälligst nicht immer die Küche zuzumüllen (die Palme war gerade gestorben)? Wie hätte ich mein dummes Verhalten verhindern können? Ich hätte ihn irgendwie vor mir schützen müssen.

Für solche Situationen sollte man immer einen inneren Erste Hilfe-Kasten gegen Aggressionen mit dabeihaben. Wenn man sich aus irgendeinem Grund in einem Gefühlschaos befindet und sich deshalb nicht im Griff hat, sollte man es trainieren, sofort zu diesem inneren Erste Hilfe-Kasten zu greifen. Er beinhaltet Alternativen zu Maßnahmen, die man vorher so gut auswendig lernen muss, dass man sie in Situationen emotionaler Hilflosigkeit automatisch anwenden kann. Am besten ist es, die gesamte Palette auswendig zu können. Dann hat man sie im Falle eines Falles sofort griffbereit, also im Kopf. Jeder Mensch kann sich da ganz individuelle Lösungen ausdenken. Hier sind einige Beispiele dafür, was ich in meinem persönliche Erste-Hilfe-Kasten für Situationen vorbereitet habe, in denen die Wut mich beherrschen will:

Ganz fest an eine Lieblingssache denken (bei mir ist das die Farbe Aquamarin).

Ganz fest an einen Lieblingsmenschen denken (bei mir ist das meine Patentante und ihre Lebensart). 

Weggehen und das vorher möglichst höflich erklären (so schütze ich meine Mitmenschen vor einer möglichen Attacke. Man kann nie wissen).

Einen Spaziergang machen.

Holz hacken. Viel. Im Schuppen. 

In die Garage gehen und wild den Kram ordnen, der sich da angehäuft hat. Oder das Klo putzen. Oder irgendetwas anderes ordnen, z.B. die Klamotten im Kleiderschrank. Nicht darüber nachdenken, ob man Lust dazu hat. Nicht denken. Es einfach tun. So kann man seine Energie sinnvoll einsetzen und erspart sich und seinen Mitmenschen viel Ärger. 

Mit dem Fahrrad in den Wald rasen. 

Sich auf den Boden legen und Atemübungen machen. 

In den Garten gehen. Blumen und Insekten angucken. Im Sommer: Himbeeren oder Johannisbeeren essen. Oder Walderdbeeren. 

P.S.: Und wenn man sauer ist, weil jemand wirklich gemein war, warten, bis die schlimmste Wut vorbei ist, und das Problem dann sachlich mit dem Gegenüber besprechen. Wütend löst man nämlich selten etwas. Ausdrücken, was passiert ist (möglichst objektiv), was für Gefühle die Aktion der anderen Person in einem ausgelöst hat, was für Konsequenzen das gehabt hat und dann darum bitten, es in Zukunft zu unterlassen. Das ist viel besser als ein offener Angriff ("du bist immer so ..."). Der verursacht nämlich so gut wie immer Gegenattacke.







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