bewusstes Trainieren der Sinne

Gestern postete ein Bekannter von mir die Vorstellung seines neuesten Buches. Er heißt Tuomas und ist Künstler. Sein Spezialgebiet ist die Anwendung von Farben, und darum geht es auch in seinem auf Finnisch geschriebenen Buch über Farbmalerei, in dem er der Leserin und dem Leser erklärt, wie man es lernt, "sauberer" sehen zu lernen. 

Tuomas ist ein Mensch, der das Verwenden von Farben und Formen spitzenmäßig beherrscht. Er hat insbesondere seine Sehfähigkeit bewusst entwickelt und ist ein Experte auf seinem Gebiet. Tuomas hat ein sehr entwickeltes Auge und kann daher Visuelles intensiver wahrnehmen als untrainierte Menschen und er kann es wunderbar beruflich einsetzen. Gleichzeitig strahlt er tiefe Ruhe und Zufriedenheit aus. Nichts scheint ihn zu erschüttern. Einmal habe ich ihn gefragt, wie er diesen permanenten Zen-Zustand erreicht hat und aufrechterhält. "Ich habe die Farben", antwortete er mit einem Lächeln. 

Wie wäre es denn, wenn wir unsere Sinne bewusst trainieren würden, um die Dinge auf der Welt intensiver aufnehmen zu können? Würde ein solches Training nicht die Lebensqualität immens verbessern? Wieder sehen lernen. Schmecken lernen. Fühlen lernen. Hören lernen. Riechen lernen. Das Schöne ist, das bei vielen Beschäftigungen gleich mehrere Sinne trainiert werden können, wie zum Beispiel beim Kochen. Da kann man sich an den Farben und Formen des Gemüses sattsehen (meine Favoriten sind das fast schwarze Rot der Aubergine und das Graugrün der Artischocke), beim Essenmachen die Oberflächen von Schneidebrett, Messer, Schüsseln, Pfannen und Zutaten befühlen, seine Aufmerksamkeit zwischendurch auf das Schneide- oder Brutzelgeräusch richten und beim Probieren die Augen schließen und sich völlig auf den Geschmack konzentrieren.

Was man zum bewussten Trainieren der Sinne braucht, ist genügend Zeit, ein echtes Interesse und einen ruhigen Geist. Oder wenigstens einen ruhigen Moment, in dem man seinen Geist beruhigen kann. Hervorragend geeignet sind Augenblicke, in denen man wartet: An der Bushaltestelle, am Bahnhof, an der Ampel. Oder wenn die Person verspätet ist, mit der man sich verabredet hat. Anstatt das Smartphone zu zücken und herumzusurfen, kann man solche Situationen gut zum Trainieren der Sinne verwenden. An der Bushaltestelle kann man sich zum Beispiel den Gefühlsinn aussuchen und erkunden, wie sich der Rucksack, die Jacke, das Metall des Wartehäuschens etc. anfühlen (natürlich so dezent, dass man nicht für verrückt gehalten wird). Oder man konzentriert sich auf die Geräusche. Plötzlich hört man das Rattern der Straßenbahn, Vogelgezwitscher und fröhliches Kinderlachen. Und die brummelige Stimme eines älteren Herrn, der sich mit seiner Frau unterhält. Es ist ganz erstaunlich, was da alles um einen herum passiert. 

Der Verstand ist immer am Trainieren der Sinne beteiligt. Um beispielsweise durch das Malen an Farben und Formen Freude zu haben, gilt es, solche Fähigkeiten zu entwickeln, die künstlerisches Können unterstützen. Ohne Gefühle, Motivation und Gedanken wäre es gar nicht möglich, die für das Trainieren erforderliche Konzentration und Disziplin zu entwickeln. Um Freude zu entwickeln, brauchen wir also sowohl den Körper als auch das Gehirn.

Sich auf das Trainieren eines Sinnes zu konzentrieren, macht sehr großen Spaß. Beispielsweise beim Malen taucht man in die Welt und das Zusammenspiel von Farben und Formen ein. Das Bild unten habe ich vor ein paar Jahren während einer solchen Sitzung gemalt.  



Blaue Blumen am Strand, Mischtechnik, 100x120cm, 2021


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