Freundlichkeitssprachen

Es gibt unter meinen Mitmenschen einige besonders wunderbare, warmherzige Leute. Letztens habe ich mir einmal überlegt, wie ihre Warmherzigkeit eigentlich zum Ausdruck kommt. Es war ganz erstaunlich, wie sehr sich die Arten, Sympathie zu zeigen, bei ihnen unterscheidet. Es gibt da meine jüngere Tochter, die sie verbal zum Ausdruck bringt: "Ich vermisse Dich" oder "Mann, hat das Essen gut geschmeckt" sind für sie typische Sätze. Ihr ist es auch wichtig, dass wir öfter mal etwas zu zweit unternehmen. 

Mein Mann dagegen schreitet lieber zur Tat: Er hilft zum Beispiel beim Transportieren und Aufhängen meiner Bilder, wenn eine Kunstausstellung ansteht, oder er bringt mir Käsebrote an den Schreibtisch, die er mit Paprikaherzen garniert hat. Oder aber er macht mir im Winter das Auto fahrbereit, indem er es vorheizt und das Eis von den Scheiben kratzt. Ausserdem ist ihm auch Körperlichkeit und (wie meiner Tochter) Zweisamkeit wichtig. Abends setzt er sich immer ganz nah neben mich aufs Sofa, und er umarmt mich auch gerne und hält beim Spazierengehen manchmal Händchen (!). 

Meine ältere Tochter bringt gerne Geschenkchen mit UND schreitet zur Tat. Bei ihr sind diese zwei "Warmherzigkeitssprachen" ganz stark ausgeprägt. Das Zur-Tat-Schreiten zeigt sich bei ihr unter anderem dadurch, dass sie sehr zuverlässig ist, ihren Freunden hilft, ihnen immer zur Seite steht und eine hervorragende Zuhörerin ist. 

Und dann gibt es in meinem Bekanntenkreis eine Dame, die ein regelrechtes Warmherzigkeitswunder ist. Sie heisst Seija und unterrichtet den Keramikkurs, an dem ich donnerstags und freitags teilnehme. Mir fiel ihr Warmherzigkeitssprachenrepertoir sofort in der ersten Stunde auf. Zum einen füllt sie den Raum mit Sätzen wie "das Glasieren hast du ganz toll hingekriegt", auch wenn der Becher schief und krumm ist oder der Teller einen Riss hat. Sie hat die Fähigkeit, das Gute zu betonen, und das motiviert die Gruppenmitglieder und sorgt für gute Stimmung. Ausserdem erzählt sie uns oft lustige Geschichtchen aus ihrem Leben, was eine kräftige Prise Menschlichkeit in den Klassenraum bringt. Auch die Tatsache, dass sie uns ganz offen und frei über eigene Fehler und nicht geglückte Projekte berichtet, bewirkt, dass sie mit den Kursmitgliedern auf derselben Ebene bleibt. Sie teilt auch jedes Mal neue Ideen und Anregungen mit uns. Doch sie spricht nicht nur, sondern schreitet auch zur Tat. Das zeigt sich jedes Mal, wenn wir sie um Rat fragen. "Wie kriege ich denn die Luftblasen aus dem Ton?" Schon ist sie zur Stelle. Einmal wurde es mit dem Glasieren zeitlich knapp, und was tat sie? Sie rührte mir die Glasur fertig an, während ich noch die Becher und Teller schliff. Ja, so ist sie. Sie ist durch und durch echt, sie ist WIRKLICH warmherzig.

Warmherzigkeit, ja. Sie bewirkt ein wirklich wundervolles Gefühl, nämlich das Gefühl, dazuzugehören, beachtet, geschätzt und gemocht zu werden, und ist Beachtung nicht etwas Schönes? Und indem man selbst die verschiedenen Mundarten der Warmherzigkeit anzuwenden gelernt hat, fühlt man sich mindestens genauso gut, wenn man einem anderen Menschen eine Freude macht, wenn man ein Lächeln hervorzuzaubern in der Lage gewesen ist. 

Ist Warmherzigkeit mit ihren verschiedenen Mundarten nicht eine wunderbare Sache? Wenn wir alle deutlicher unsere Sympathie zum Ausdruck bringen könnten, wären wir ganz bestimmt viel glücklicher. Beobachten, welche Art der Warmherzigkeit andere Menschen verwenden und sich mit ihnen auf ähnliche Art unterhalten, denn die Mundart, die man selbst beherrscht, versteht man auch selbst am besten.

Ich werde es auf jeden Fall versuchen. 



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