Tante Sweetheart und Bob der Baumeister

 „Wollen wir uns heute das Erdbeerbeet vornehmen?“ In Annas Stimme klangen Tatkraft, starker Wille und freudige Erwartung mit. Das neunzehnjährige Töchterchen war bereit zum Wühlprojekt im Garten. „Ja, gute Idee. Das wartet schon seit Jahren auf neue Stecklinge. Letztes Jahr haben wir nur ein paar spärliche Beeren ernten können. Außerdem wuchern da auch Brennnesseln und Hahnenfuß.“ „Hast du Gartenklamotten für mich?“ „Aber hallo.“ Es gab sogar eine große Auswahl an ausrangierten Hemden und Hosen, die schon sehnlichst darauf warteten, endlich an der Gartenarbeit teilnehmen zu dürfen. Bei den meisten Wunderstücken handelte es sich um Teile, die ich vor Ewigkeiten nach dem Prinzip selten, dann aber Qualität erstanden hatte. Ihnen war gemeinsam, dass man ihnen ihr gelebtes Leben schon ziemlich ansah. Sie hatten ihr jugendliche Blüte lange hinter sich gelassen. Trotzdem waren sie mir ans Herz gewachsen, und auch wegen des damals recht teuren Preises wäre es ja schade gewesen, sich endgültig von ihnen zu trennen. Im Kleiderschrank gab es für diese speziellen Stücke ein eigenes Regal mit dem Aufkleber Geht noch (Garten). 

Wir standen uns im Schummerlicht des Kleiderzimmerchens nach kurzer Durchsicht des Stapels in recht zweifelhaften Kombinationen kichernd gegenüber. Anna hatte sich ein kariertes Hemd von Tiger of Sweden geschnappt, dessen Riss am linken Ärmel mit einem Aufbügelflicken überdeckt war. Dazu trug sie dunkelblaue Shorts, die sie mithilfe eines breiten Ledergürtels vor dem Herunterrutschen hinderte. Dieser Ledergürtel war ein Relikt aus den Siebzigern. Es gab ein Foto, auf dem mein Vater ihn mit einer braunen Schlaghose aus Cordstoff trug. Dazu hatte er sich ein tief ausgeschnittenes, oranges Frotteeshirt angezogen und er trug natürlich Koteletten. Er musste den Gürtel ziemlich lang verwendet haben, denn so gut wie alle Gürtellöcher hatten streifenartige Gebrauchsspuren, an denen das Wachstum des Bäuchleins zu erkennen war. Jahresringe. Irgendwann war dieses Erbstück dann in meiner Gürtelschublade gelandet. Anna verwendete das erste Loch, und trotzdem saß der Gürtel ziemlich locker. „Möchtest du lieber Hosenträger?“ Ich hielt ihr ein graues Wunderstück hin. Anna fing schon wieder laut zu lachen an. „Nein, ich komme klar.“ Zum Schluss schnappte sie sich noch ein paar schwarze Sportsocken mit der roten Aufschrift Power Movement und grinste, als sie sich im Spiegel betrachtete. „Ich komme mir vor wie Bob der Baumeister.“ Ich hatte mich für eine recht stramme Nadelstreifenkniehose von Marco Polo entschieden, dazu gab es ein hellblaues, enganliegendes Hemd mit zu kurzen Ärmeln. „Irgendwie…, irgendwie siehst du eingeklemmt aus“, prustete Anna los und sie bekam vor lauter Lachen kaum ein Wort heraus. Tatsächlich fühlte ich mich etwas zusammengequetscht. Schließlich hielt sie mir ein anderes Wunderteil hin. „Nimm‘ doch dieses hier.“ Es war ein blau-rot-kariertes Rüschenhemd aus Flanellstoff von Gant. Die Erinnerung an diesen Fehlkauf bewirkte immer noch ein innerliches Kopfschütteln. Es war so gut wie unbenutzt, denn ich war mir im Laden ganz sicher gewesen, dass dieses Hemd ein absolutes Schnäppchen war und es mir super stehen würde. Ich hatte es nicht anprobiert. Zu Hause hatte ich dann gemerkt, dass ich darin wie Tante Sweetheart aussah. „Okay, du meinst also, dann würden wir im Karohemdpartnerlook besser zusammenarbeiten?“, lachte ich zurück. „Ja, genau … Wir als Erdbeerteam müssen doch passend eingekleidet sein!“

So begaben sich Bob der Baumeister und Tante Sweetheart zum völlig verwachsenen Erdbeerbeet. 



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