die Frostnacht

 


Im Wetterbericht hatten sie für die Nacht minus fünf Grad Celsius vorhergesagt. Zur Sicherheit holte Juha an jenem Spätoktoberabend sein Fünfliter-Heineken-Biertönnchen von der Glasveranda. Es stand dort auf einem Blumentisch geparkt, dieses Geburtstagsgeschenk von Sofia, das immer noch auf den richtigen Genussmoment wartete. Auch ein paar Efeupflanzen und eine Petunie, die immer noch in voller, dunkelvioletter Blüte stand, durften die Nacht im warmen Flur verbringen.

Am nächsten Morgen hatten sich die Petunienblüten geöffnet. Sie schauten in alle Richtungen und wunderten sich. Es war ja plötzlich so warm! War der Sommer wiedergekommen? Hoffentlich würde sie noch die Kraft haben, Samenkapseln zu bilden. So könnten sie im nächsten Frühjahr im Gewächshaus vorgezogen werden und eine neue Saison erleben. Pflanzen. Gut. Der Gedanke, dass die Sommergewächshauszimmerpflanzen schon seit ein paar Wochen im Haus waren, bewirkte im Körper einen Wärmeschub von Erleichterung und Sicherheit. Das Zitronenbäumchen. Die Korallenbegonie. Der Olivenbaum. Das Fensterblatt. Alle lebten und allen ging es gut.

An diesem frühen Morgen war die Zeitung schon gekommen. Sie wartete im blauen Postkasten an der Straße in einer lustigen, bunten Reihe zusammen mit den anderen Postkästen der Nachbarn. Der erste Atemzug weckte die Lebenslust im Körper. Mit dem Blick in Richtung Sternenhimmel füllten sich die Lungen mit köstlicher, frischer und sauberer Frostluft. Der Bauch mochte sie: Beim tiefen, mehrfachen Ein- und Ausatmen regte er sich und meldete sich mit einem zustimmenden Brummen.

Dort funkelte am fast schwarzen Oktoberhimmel der große Wagen. Schräg über ihm leuchtete stolz der Polarstern, der letzte Stern des kleinen Bären. Stella Polaris. Auch Cassiopeia blickte hell und erhaben auf die Welt.

Die Natur hatte in der Nacht auf dem Asphalt vor dem Haus eine Kunstausstellung gezaubert. Auf den Wasserpfützen lagen dünne Eisschichten, die silbermagisch im fahlen, kalten Licht der Straßenlaternen blitzten. Interessante, streifenförmige Formationen bildeten asymmetrische, überwältigende Naturkunstwerke in Weiß- und Grautönen. Sieben Eisbilder in verschiedenen Größen und Formen und mit fantasievollen Formationen und Farben bewirkten ein wohliges Prickeln in Armen und Oberkörper.

Die Zeitung war nachtkalt und knisterte beim Herausheben aus dem Postkasten leise und ein bisschen vorwurfsvoll, wie um zu sagen, dass sie viel zu lange in der Kälte hatte warten müssen und es höchste Zeit war, ins Warme zu kommen.

Bald dämmerte es. Der Osthimmel färbte sich zu einem orangen Farbenmeer. Das kräftige Sonnenorange erwuchs hinter der Waldrandsilhouette und vermischte sich mit dem kalten Winterhimmelgrau wie ein Aquarell. Die Natur hatte den Wacholder vor dem Haus mit Eispuderzucker bestäubt. Blumen und Gräser glitzerten in der Morgensonne im verzauberten Garten. Es tat gut, mit einem Becher dampfenden Tee am Küchenfenster zu stehen und die weiße Natur zu betrachten.

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